Alex Bodry: Ein paar Gedanken zur Kommunalwahl 2017

In Luxemburg sind die Gemeindewahlen, neben den Parlamentswahlen und Europawahlen, die dritten politische Wahlen.

Sie sind in erster Linie 105 getrennte Wahlgänge, also Einzelwahlen mit ihren lokalen Besonderheiten.

In ihrer Addition skizziert die Kommunalwahl aber auch ein Gesamtbild, ein Eindruck, eine Momentaufnahme des politischen Kräfteverhältnisses im Land.

Das Ergebnis des 2017er Wahlgangs ist in seiner Gesamtausrichtung alle andere als überraschend: die CSV ist stärkste Partei. Sie bestätigt auf niedrigerem Niveau ihre Stellung bei den letzten National- und Europawahlen.

Von dem von den Demoskopen prophezeiten nationalen Traumergebnis von gut 40 % ist sie jedoch mit 30,5 % der Stimmen in den 46 Proporzgemeinden jedoch deutlich entfernt.

Eine Detailanalyse zeigt auch, dass trotz der klaren Erfolge in der Hauptstadt und in Esch/Alzette, die CSV zwar mehrheitlich zulegen konnte gegenüber dem Ergebnis von 2011, jedoch in 13 von 43 Proporzgemeinden prozentuale Verluste verzeichnen musste.

Die CSV ist der Gewinner der Wahl. Einen einheitlichen starken nationalen Trend gab es nicht. Dennoch zeigt die Schöffenratsbildung, dass die Christdemokraten Sitz- und Mandatsmä?ig deutlich zulegen konnten. Sie werden in der Mehrheit der Schöffenräte vertreten sein.

Dies ist u.a. auch die Folge einer schwächelnden LSAP. Die Sozialisten verlieren rund 5 % an Stimmenanteilen und liegen nun bei gut 24 % der Stimmen, wobei allerdings die Stimmenergebnisse der drei von Sozialisten aufgeführten Bürgerlisten (Lorentzweiler, Kopstal, Bissen) nicht berücksichtigt wurden. Es wurden insgesamt 163 LSAP Mitglieder in den Proporzgemeinden gewählt. Das entspricht bei insgesamt 600 Sitzen einer Quote von 27 %.

Die Tendenz ist im Durchschnitt klar rückfällig gegenüber der Kommunalwahl von 2011 auch wenn sie im Niveau deutlich über den Ergebnissen der Kammerwahlen 2013 (19,3 %) und den Europawahlen 2014 (11,7 %) liegt.

Die LSAP hat, trotz einigen ausgezeichneten Einzelergebnissen, diese Wahl verloren.

Sie legt bloß in 10 Proporzgemeinden prozentual zu, in 31 verliert sie an Zuspruch.

In den Proporzgemeinden stellt sie voraussichtlich 14/15 Bürgermeister, das sind 3/4 weniger als vorher.

Hinter der LSAP, die klar Nummer 2 bleibt, belegt die DP den dritten Platz.

Für die Liberalen gab es mehr Verluste als Gewinne. Insgesamt geht ihr Stimmanteil, trotz zusätzlicher Listen, leicht zurück auf 18 %. Auch ihr Anteil an der Gesamtsitzzahl ist rückläufig.

Bei den Grünen, die dank ihres Erfolges in Differdingen, knapp an Sitzen zulegen konnten, halten sich Stimmgewinne- und Stimmverlsuste fast die Waage.

Sie nähern sich der DP und sind etwas stärker in den Schöffenräten vertreten.

Es ist interessant festzustellen, dass in den Schöffenräten Koalitionen zwischen CSV und LSAP, den zwei größten Parteien, noch immer – trotz DP-LSAP-Gréng auf Landesebene – die häufigste Koalitionsform darstellt.

Zugenommen haben die Koalitionen zwischen CSV und Grünen.

Das neue Kräfteverhältnis spiegelt sich ebenfalls in der Statistik der stärksten Partei pro Gemeinde wider: die CSV hat in 21 Gemeinden die Nase vorne, die LSAP in 14, die PD in sieben und die Grünen in einer Gemeinde.

Bei den letzten Parlamentswahlen war die CSV in sämtlichen Gemeinden des Landes auf Platz 1 gelandet mit Ausnahme der LSAP-Hochburgen Düdelingen und Rümelingen.

Eher mittelmäßige Ergebnisse bei den “kleinen” Parteien

Bemerkenswert sind auch die eher mittelmäßigen Ergebnisse der sogenannten „kleinen“ Parteien: Déi Lénk treten auf der Stelle. Ein einziger Sitzgewinn mit der Hilfe von Überläufern in Sassenheim, kein Einzug in einen neuen Gemeinderat.

Auch die ADR kann nicht zulegen. Gewinne und Verluste gleichen sich aus.

Einer ihrer drei Abgeordneten fällt sogar komplett durch. Vier Sitze insgesamt bei zehn Listen: diese national-konservative Partei bleibt auf Gemeindeebene extrem schwach, ohne wirkliche Verankerung übers Land.

Für die Piraten, die im Ausland am Verschwinden sind, ist es kein Wahlerfolg. Sie schrumpfen in der Hauptstadt und in Esch im Vergleich zu den Parlaments-und Europawahlen. Bloß drei Sitze insgesamt.

Die Mehrheit ihrer Listen gehen leer aus, insbesondere in Luxemburg und Esch. Ein Fehlstart bei ihrer ersten Kommunalwahl. Noch schwächer sind die Kommunisten, die es auf ganze zwei Sitze bringen und nicht mehr in ihrer einstigen Hochburg Esch im Gemeinderat vertreten sind.

Fazit: Das Wahlergebnis zeigt, dass die CSV gegenüber 2011 im Aufwind ist ohne jedoch ganz an ihre Resultate bei Parlaments- oder Europawahlen anknüpfen zu können.

Die Christlich-Sozialen sind nun auch auf kommunaler Ebene auf Platz 1.

Die LSAP geht insgesamt zurück.

Sie scheint vor allem an die CSV zu verlieren nachdem sie bei vorherigen Wahlen wohl eher noch links Stimmen abgeben musste. Frühere Panaschierstimmen von CSV-Wählern blieben wohl diesmal weitgehends aus.

Dieser diffuse Stimmenverlust der LSAP nach allen Richtungen bedarf einer eingehenden Analyse.

Eine schnelle, angemessene politische Antwort auf diese Entwicklung wird schwierig sein.

Die SPD kannte bei den letzten Bundestagswahlen ja ein ähnliches Phänomen.

Die Sozialisten verfügen über mehrere Elektorate, die sich alle in der Politik der der Partei wiederfinden müssen, wenn sie eine Volkspartei bleiben will. Dort wo ihnen das gelungen ist, wie zum Beispiel in Düdelingen, ist sie weiterhin sehr stark.

Selbstverständlich hängt das Ergebnis auch vom eigenem politischen Personal und der Stärke oder Schwächen der Konkurrenz ab.

Auch dies ist aus den Einzelergebnissen herauszulesen.

Früher oder später wird sich die Frage der Neudefinierung der politischen Parteienlandschaft stellen.

Neben der Konkurrenz der CSV, die das konservative Lager fast integral abdeckt,  ist meines Erachtens Platz für eine linke, sozialdemokratisch-ökologische Volkspartei, die sozialen Fortschritt und ökologische Verantwortung miteinanderverbindet. Die Gesellschaft sozial gerechter machen und die globalen Umweltfragen lösen, das sind die grossen Herausforderungen unserer Zeit. Es ist jedoch fraglich, wann und ob der Mut zu einer solchen grundsätzlichen Infragestellung der bestehenden politischen Strukturen und Traditionen besteht. Nach den nächsten Parlamentswahlen öffnet sich vielleicht ein Zeitfenster für eine solche Debatte.

Dieser notwendige Erneuerungspozess begreift in meinen Augen ebenfalls eine Reform des Wahlrechts und unserer Institutionen.

Anti-Kumulbestimmungen für Abgeordnete und Bürgermeister und eine Stärkung des Parlaments und der partizipativen Demokratie sind Elemente dieser Reform.

Ein einfaches “Weiter so“ wäre die falsche Antwort auf das Signal vom 8. Oktober.

Auslegung der Wahlergebnisse

Die Auslegung der Wahlergebnisse und die nachfolgende Bildung der kommunalen Koalitionen und Schöffenräte sorgt für Diskussionen, Aufregung, Unverständnis, ja Zorn.

Klar ist, dass die Einschätzung der jeweiligen politischen Lage ohne Zweifel von dem persönlichen Standpunkt des Betrachtens abhängt.

Was man in einer Gemeinde kritisiert, scheint in einer anderen Gemeinde zumindest akzeptiert, manchmal sogar begrüßt zu werden.

Angesichts dieser doch etwas konfusen Stimmungslage scheint es mir angebracht einige Fakten in Erinnerung zu werfen:

  • Bei den Kommunalwahlen wählt man in Luxemburg nicht den Bürgermeister, nicht den Schöffenrat, sondern die Mitglieder des Gemeinderates. Zu diesem Zweck verfügen die Wähler je nach Größe der Gemeinde über 7 bis 27 Stimmen. In den jetzt 46 Proporzgemeinden wird nach Parteilisten gewählt. Zu den persönlichen Stimmen additioniert man die Listenstimmen, die 2017 mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen ausgemacht hat.
  • Der Bürgermeister wird wie die anderen Mitglieder der Gemeindeexekutive von den Gemeinderatsmitgliedern vorgeschlagen und indirekt bestimmt. Das geschieht in Luxemburg durch einen Brief an den Innenminister, der von der Mehrheit der gewählten Gemeinderäte unterschrieben wird. Entscheidend für die Zusammensetzung des Schöffenrates ist demnach die Unterstützung durch eine Mehrheit des neu gewählten Gemeinderates.
  • Die Zusammensetzung des Schöffenrates ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Parteien , Mannschaften oder Gewählten aufgrund ihrer Sitzstärke und – so sollte es zumindest sein – deren jeweiligen Programme.
  • Jede Mehrheit, jede Koalition, die sich auf der Basis dieser Diskussionen und Verhandlungen bildet ist legal, in der Regel auch legitim. Illegitim wäre meiner Meinung nur eine Koalition, die in ihrer personellen und politischen Zusammensetzung in krassem Gegensatz zu vor den Wahlen verbindlichen Aussagen zustande kämen.
  • Keine Partei, kein Kandidat hat als Konsequenz des Wahlergebnisses ein Vorrecht, nicht einmal Initiativrecht für Verhandlungen.Es beseht in dieser Frage weder ein verbindlicher Text oder eine feste Tradition in Luxemburg.
  • Entscheidend bei den Ergebnissen ist die Sitzzahl pro Liste im Hinblick auf das Erreichen einer Mehrheit. Prozentuale Unterschiede, Gewinne oder Verluste gegenüber den vorherigen Wahlen spielen eine untergeordnete Rolle. Kurzum: die arithmetische Logik überwiegt, die politische Logik ist zweitrangig.

So will es unser bestehendes Wahlgesetz. Die kommunalen Regeln oder Nicht-Regeln sind fast identisch mit den Grundsätzen wie wir sie auf nationaler Ebene bei Regierungsbildungen kennen.

Trotz der nicht verankerten Praxis der Bestimmung eines „Formateurs“ oder „Informateurs“ liegt im Endeffekt die Bildung von Koalitionen auch auf nationaler Ebene in der Hand der Parteien und ihrer zuständigen Gremien.

Kein Wahlgesetz, kein politisches System ist ideal, ohne Makel. Deshalb ist es völlig in Ordnung, dass zurzeit eine Debatte über die Schwächen und Unzulänglichkeiten unseres kommunalen Wahlgesetzes geführt wird.

Der meist geäußerte Hauptvorwurf liegt in der Bestimmung eines Bürgermeisters respektiv eines Schöffenrates, der nicht dem ominösen „Wählerwillen“ entsprechen soll. Diese Kritik scheint mir zumindest diskutabel, da es den Wählerwillen, im Singular, nicht gibt.

Was ist politisch entscheidend? Die Reihenfolge der Listen, das Spitzenergebnis der Kandidaten, die Differenz zu den vorherigen Wahlen oder die Übereinstimmung der Programme?

Schwer zu sagen! Wohl alles ein bisschen.

Es bringt kaum etwas, gesetzlich verbindliche Regeln für die Verhandlungen bei Schöffenratsbildungen festzulegen: die Kontrolle ist schwierig, Sanktionen eigentlich undenkbar. Vor allem kann die Hypothese von geheimen Parallelverhandlungen oder Scheinverhandlungen nie ausschliessen. Das ganze wäre unwirksam und auch kaum mit der gesetzlich verankerten Gemeindeautonomie zu vereinbaren.

Das müsste dann logischerweise ebenfalls bei Regierungsbildungen gelten.

Um Debatten, wie wir sie zurzeit erleben, den Nährboden zu nehmen, wäre es nützlich, dass sich die Parteien im Vorfeld der Wahlen freiwillig eine gewisse Vorgehensweise bei Koalitionsverhandlungen geben.

Auch wären Koalitionsvoraussagungen vor Wahlen hilfreich, obwohl das nicht der Luxemburger Tradition entspricht.

Denkbar ist auch eine größere Wahlrechtsreform einzuleiten.

Für viele Wähler geht es bei der Kommunalwahl in erster Hinsicht um die Bestimmung des Bürgermeisters.

Dem könnte man Folge leisten.

Weshalb nicht wie das in vielen Ländern üblich ist, dem Bürgermeister – zumindest in den größeren Gemeinden – direkt wählen?

Währenddessen werden die übrigen Gemeinderatsmitglieder über Listen gemäß Verhältnisrechts gewählt.

Ein solches Wahlsystem besteht in vielen deutschen Bundesländern. Es scheint zu funktionieren.

Eine solche Lösung kann – dessen muss man sich bewusst sein – dazu führen, dass der Bürgermeister nicht über eine eigene Mehrheit im Gemeinderat verfügt.

Allerdings wäre der Vorwurf, dem Wählerwillen würde nicht Rechnung getragen, definitiv vom Tisch.

Andere Varianten sind denkbar. So bekennen sich die Parteien in Italien im Vorfeld zu einem Bürgermeisterkandidaten. Sein Ergebnis ergibt sich aus dem Total der ihnen unterstützenden Listen.

Dieses System ist transparent und macht Koalition sichtbar.

Denkstösse gibt es genug. An den Parteien liegt es sie zu prüfen, nach öffentlicher Debatte abzuwägen und gegebenfalls in ihre Wahlprogramme aufzunehmen.

Es lohnt sich allemal diese überfällige Debatte über die Pertinenz unseres Wahlrechtes zu führen, nicht nur bei Gemeindewahlen, sondern auch bei Nationalwahlen: Wahlbezirke, Panaschiermöglichkeiten, Restsitzverteilung…

Möge das jeweilige parteipolitische Kalkül nicht in einen absoluten Status quo münden!

Alex Bodry

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