« Herausforderung Populismus » – Vortrag von PD Dr. Markus Linden auf der Tagung der Saar-Lor-Lux-Internationale, 17.11.2018

« Herausforderung Populismus »

Vortrag von PD Dr. Markus Linden auf der Tagung der Saar-Lor-Lux-Internationale, Trier 17.11.2018

 

  1. Einleitung

An dieser Stelle fand am 04. Mai 2018 eine Veranstaltung der AfD statt. Ich war nicht dort, aber Youtube macht es möglich, diese Veranstaltung nachzuzeichnen. Das Motto lautete „Marx vom Sockel holen“. Es ging, die meisten werden es wissen, um die Enthüllung der von China gestifteten Marxstatue in Trier. Der Hauptredner auf der Trierer AfD-Konferenz polemisierte gegen Marx und stellte abschließend fest, was heute das „im Kern marxianische Projekt“ sei – nämlich die europäische Integration in Form der Europäischen Union. ‚EU gleich Kommunismus gleich Diktatur‘ lautet demnach die Formel. Der Redner, der sie für die AfD vorbrachte, war Vaclav Klaus, der ehemalige tschechische Ministerpräsident (1992-1998), Parlamentspräsident (1998-2002) und Staatspräsident (2003-2013).

Vaclav Klaus ist ein beliebter Bezugspunkt für rechtspopulistische Parteien, deren Anhänger und deren Medien. Er kritisiert insbesondere die deutsche Flüchtlingspolitik heftig und spricht im europäischen Kontext von einem „Wander-Mainstreaming“, mit dem „EU-Eliten … das neue Europa erzwingen wollen“ (Buch „Völkerwanderung“). Außerdem ist Klaus ein Kritiker von gängigen Theorien des Klimawandels. Im Interview mit dem verschwörungstheoretischen Portal „Wissensmanufaktur“ erläutert er, dass es speziell in Deutschland „keine seriöse Debatte“ und „keine seriöse Diskussion“ mehr gebe. Die Interviewerin, die ehemalige Tagesschausprecherin Eva Herman, kann ihm da selbstredend nur beipflichten.

Vaclav Klaus geriert sich als der wahre Pluralist, als der wahre Dis-sident, der tapfer gegen eine vermeintlich korrupte und antidemokratische Elite kämpft. In Deutschland übernimmt diese Rolle zurzeit u.a. Vera Lengsfeld, ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin, ehemalige Bundestagsabgeordnete und Initiatorin der bislang erfolgreichsten Petition gegen die Flüchtlingspolitik: der sogenannten „Erklärung 2018“.

Wie kommt es, dass der Rechtspopulismus, den wir eigentlich als demokratiegefährdend ausgemacht haben, sich so selbstverständlich und so erfolgreich auf die Meinungsfreiheit beruft? Warum verfängt diese Ankopplung des Populismus an Karl Poppers Leitbild von der offenen Gesell-schaft? Warum können sich Rechtspopulisten als Verteidiger der Freiheit in der Demokratie aufspielen, als demokratische Dissidenten verkaufen und – analog zur emanzipatorischen Linken – Widerstand gegen angeblich asymmetrische Machtstrukturen einfordern. Um diese Fragen kreist der folgende Vortrag. Ich habe ihn in drei Unterpunkte aufgeteilt. Zunächst gehe ich der Frage nach, was Populismus ist. Anschließend beschäftige ich mich mit den verschiedenen Gründen, die für das Aufkommen insbesondere des Rechtspopulismus genannt werden. Im dritten und letzten Punkt wird es dann um die verschiedenen Strategien gehen, mit denen man dem Rechtspopulismus begegnen kann.

Um nicht zu viel Spannung aufkommen zu lassen, nehme ich meine These vorweg: Der wichtigste Grund für das Aufkommen des Populismus im Allgemeinen und des Rechtspopulismus im Besonderen, ist die schleichende Entpluralisierung und Entpolitisierung wichtiger politischer Bereiche. Alternativensetzung und Demokratisierung sind demnach die erfolgversprechendsten Gegenstrategien – nicht zuletzt für sozialdemokratische Parteien. Eigentlich muss man nicht so sehr gegen den Rechtspopulismus kämpfen, sondern vielmehr die Integrationsfähigkeit des demokratischen Parteienwettbewerbs und des Parlamentarismus wieder herstellen

 

 

  1. Was ist Populismus?

Sucht man eine neuere Begriffsbestimmung für das Phänomen des Popu-lismus, so glaube ich, dass Cas Muddes Ansatz einen guten Anknüpfunks-punkt darstellt. Zum einen, weil sein Aufsatz aus dem Jahr 2004 einen guten Titel hat: „The Populist Zeitgeist“. Hinzu kommt ein inhaltlicher Punkt. Für Mudde zeichnen sich populistische Bewegungen und Parteien primär dadurch aus, dass sie dem Volk eine vermeintlich abgehobene Elite gegenüberstellen. Er spricht von Populismus als einer „dünnen Ideologie“, die dann mit allen möglichen Inhalten gefüllt werden kann – sei es der Antikapitalismus, der Rassismus, die Medienschelte oder der Geschichtsrevisionismus, wie er etwa in Deutschland in Form der Vogelschiss-Rhetorik von Alexander Gauland offen vorgebracht wird. Ziel ist es, die Grenze des Sagbaren ständig auszuweiten, um die berechtigte Kritik an radikalen Äußerungen als Ausgeburt eines angeblichen Meinungskartells darstellen zu können.

Folgerichtig hat Jan-Werner Müller den Populismusbegriff von Cas Mudde normativ ausgeweitet. Für Müller ist Populismus etwas prinzipiell Antidemokratisches. Denn das populistische Denken basiere auf der simplifizierenden und antipluralistischen Vorstellung, es gäbe ein Volk mit einem Interesse dem wiederum eine geschlossene Elite gegenüberstehe. Michael Zürn argumentiert ähnlich. Für ihn ist der Populismus im Kern autoritär, antiliberal, antipluralistisch und antimultilateralistisch. Zürn spricht von einem „Gespenst“.

Mit Mudde kann man Populismus also als eine dünne, simplifizie-rende Ideologie begreifen. Folgt man Müller und Zürn, dann ist sie tendenziell immer antidemokratisch, weil Rousseaus Bild vom monistischen volonté générale, vom wahren Volkswillen bedient wird.

Viele Beteiligte der politischen Auseinandersetzung haben dieses letzte Diktum, also die Gleichsetzung von Populismus mit Demokratiefeindlichkeit, übernommen. Daraus resultiert dann ein zweiter Bedeutungs-horizont von Populismus. Der Begriff wird als Abgrenzungskategorie benutzt. Ralf Dahrendorf hat das bereits im Jahr 2003 in einem heute noch lesenswerten Text festgehalten. Er stellt fest: „Populismus [ist] ein abwertender Begriff.“ Aber, so Dahrendorf weiter, „des einen Populismus ist des anderen Demokratie, und umgekehrt.“ Deshalb kommt Dahrendorf zu ei-nem auch rhetorisch provozierenden Schluss. Er schreibt: „Der Populismus-Vorwurf kann selbst populistisch sein, ein demagogischer Ersatz für Argumente“. Das ist genau jene Entgegnung, mit der die Populisten von heute eine Diffamierung der Antipopulisten betreiben. Deutlich wird, dass die Abgrenzungskategorie „Populismus“ Schwächen aufweist. Sonst hätte sie ein an Karl Popper geschulter Pluralist wie Ralf Dahrendorf eher nicht in Zweifel gezogen. Der Bremer Politikwissenschaftler Philip Manow geht gar soweit, der antipopulistischen politischen Elite vorzuwerfen, sie betreibe eine „Selbstdementierung des pluralistischen Plädoyers“. Manow meint damit etwas ganz Einfaches: Wer den Populismusvorwurf benutzt, wolle keine Debatte.

Zweifel an der Abgrenzungskategorie „Populismus“ resultieren aber nicht nur aus der kategorialen Unschärfe und aus der von einigen unterstellten bösen Absicht der Diskursverweigerung, sondern auch aus einer vorhandenen analytischen Aussagekraft. Populisten unterscheiden zwischen Volk und Elite, und sie tun das substantiell. Das ist simplifizierend und geschieht oft (bei den Rechtspopulisten immer) in der Absicht, bestimmte Gruppen aus dem sogenannten Volk auszuschließen. Die Feststellung aber, dass es eine politische Elite gibt, eine politische Klasse also, diese Feststellung hat immerhin emanzipatorisches Denken angeleitet. Sie ist letztlich die theoretische Grundlage von kritischen Elitentheorien. Bei Gaetano Mosca heißt es, dass die herrschende Klasse immer kleiner sei als die beherrschte Klasse. Wir müssen uns also fragen, ob wir mit dem Populismusvorwurf nicht gleichzeitig ein analytisches Tool aufgeben und Herrschaftsasymmetrien affirmativ festschreiben. Speziell sozialdemokratische Parteien haben hier ein Problem. Die Populisten gelten für manche Wählerinnen und Wähler (fälschlicherweise) als aktuelle Anwälte einer herrschafts- und machtkritischen Position, die Sozialdemokraten immer weniger.

Kurzum, um diesen Punkt abzuschließen, ein Zwischenfazit: Populismus ist die Gegenüberstellung von Volk und Elite. Das geschieht von Seiten der Populisten zumeist substantiell und damit tendenziell antipluralistisch und antidemokratisch. Speziell Rechtspopulisten nutzen die Rhetorik, um Minderheitengruppen aus ihrem Volksbegriff auszugrenzen. Daneben ist Populismus aber auch eine Abgrenzungskategorie mit zwei Gefahren: Erstens kann man damit Debatten verweigern, also selber antipluralistisch sein. Zweitens besteht die Gefahr, Handlungen der politischen Klasse nicht mehr zu hinterfragen, also Kritikfähigkeit an populistische Kräfte abzugeben. Schließlich, das sei kurz hinzugefügt, ist Populismus auch ein Stil der politischen Argumentation und ein Mittel der Unterstützungsgenerierung. Welche Politikerin und welcher Politiker hätten sich noch nie eines Stils bedient, der direkt auch auf die Mehrheitsgefühle der umworbenen Bürgerinnen und Bürger zielt. „Die Leute mitnehmen“, heißt es dann.

  1. Gründe für das Erstarken des Populismus

Für Konservative ist es eindeutig, was den Populismus stark macht. Wirft man einen Blick in ihre Gazetten und Internetportale, also etwa in die „Achse des Guten“ oder auch wieder in die „Bild-Zeitung“, so leben wir in einem Land der Steuerungsdefizite und der fehlenden Anwendung von Gesetzen. Mit der vermeintlich mangelnden Sicherheit korrespondiert aus dieser Perspektive die sogenannte Migrationsfrage. Einwanderung und, so der Titel eines höchst zweifelhaften Sachbuch-Bestsellers, Kontrollverlust befördern demnach die neue Affinität für den Rechtspopulismus.

Auf den ersten Blick leuchtet die Erklärung sogar ein. Denn natürlich befördert Einwanderung bei manchen Menschen Ängste. Aber die AfD entstand vor dem Jahr 2015. Sie wäre schon 2013 fast in den Bundestag eingezogen, mit einem Frontmann, der am Wahlabend die Diktion von Carl Schmitt übernahm und von „Entartungen des Parlamentarismus“ sprach. Die Partei wettert nicht nur gegen Zuwanderer, sondern auch gegen Gleichstellungs- oder Klimaschutzpolitiken. Außerdem verkauft man sich als ausgesprochen sozial, wobei die AfD selbst noch nicht weiß, ob damit der selbsterklärte nationale Sozialismus von Jürgen Elsässer und Björn Höcke oder der national fixierte Wirtschaftsliberalismus von Meuthen und Weidel gemeint sein soll.

Trotzdem setzt hier das zweite Erklärungsmuster für den Erfolg des Populismus an. Wolfgang Streeck, Mark Lilla oder Nils Heisterhagen kon-statieren eine zu große Fixierung linker Parteien auf Themen der Identitäts-politik. Während man den Neoliberalismus mit offenen Grenzen gewähren ließ, feierte man Genderquoten oder die Ehe für alle als emanzipatorische Projekte – so lautet die These der genannten Autoren. Dabei sei die Kernklientel vernachlässigt, teilweise sogar als rückständig gebrandmarkt worden. Identitätspolitik sei wiederum ein Spiegel der liberalen Elite, die wei-ter an das kosmopolitische Projekt, z.B. in der Version von Jürgen Habermas, glaube. Laut Philip Manow betrachtet die liberale Elite außer Acht gelassene Wählergruppen als Klasse der „Ungewaschenen“. Diese würden dann halt vom Rechtspopulismus eingefangen. Auf dem diesjährigen Neujahrsempfang der FPÖ formulierte Heinz Christian Strache dies knackig, wenngleich er die Pointe versaute, weil er auf sein Blatt schaute. Er sagte: „Bruno Kreisky würde heute HC Strache und die FPÖ wählen.“

Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck ist denn auch einer der prominentesten Unterstützer der Bewegung „Aufstehen“ von Sarah Wagenknecht. Dieser Bewegung ist, obwohl man mit Hilfe eines Computerprogramms möglichst massenkompatible Programmpunkte aufsetzen möchte, bislang noch kein großer Erfolg beschieden. Auch die hessische SPD ist nicht erfolgsverwöhnt. Dabei verwies ihr Spitzenkandidat auf die Bundespolitik, denn dem Willen der Bevölkerung habe man schließlich entsprochen. Demoskopen hatten Wohnen als das Kernproblem ausgemacht, weshalb die SPD in Hessen und Bayern einen relativ monothematischen Wahlkampf betrieb. Ganz gefruchtet hat das nicht, wie überhaupt festgehalten werden muss, dass die bloße Ansprache sozialer Fragen bei gleichzeitiger Dethematisierung von Identitätsspolitiken kein Garant für die Zurückdrängung des Populismus ist.

Kommunikationsberater verweisen in solchen Fällen schon mal auf Glaubwürdigkeitslücken und Vertrauensdefizite als Ursachen für die Krise der Sozialdemokratie. Das heißt aber genau genommen, dass man ein Phänomen mit sich selbst erklärt, was in der Tat nie ganz falsch sein kann. Auch haben die beiden bislang vorgestellten Erklärungsmuster natürlich eine gewisse Aussagekraft in Bezug auf das Aufkommen des Populismus. Wenn, wie zum Beispiel in Polen, Liberale gegen Rechtspopulisten antreten, dann übernimmt halt der Populismus die Rolle des Sozialagenten und besetzt den verwaisten Platz der klassischen Linken. M.E. bietet aber im deutschen Fall ein anderer, eher verfahrenstechnischer Grund, die größere Erklärungskraft. Das dürfte, ich denke etwa an Österreich, auch für andere Länder gelten.

Der deutsche Rechtspopulismus ist ein Resultat von Prozessen der schleichenden Konsensualisierung im Zentrum des politischen Systems. Die Depolitisierung vieler Fragestellungen und die mangelnde Alternativensetzung haben die Politik soweit begradigt, dass Bürgerinnen und Bürger vermehrt auf eine Antisystempartei zurückgreifen. Die politische Klasse wird von vielen Wählern auch deshalb als geschlossene Klasse wahrgenommen, weil sie sich oft so gerierte.

Die von mir als hauptursächlich angesehene Entwicklung setze unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröders ein. Man bildete Expertenkommissionen, um, so Schröder in seiner ersten Regierungserklärung im Jahr 1998, „den Konsens über das beste Ergebnis“ herzustellen. Die Hartz-Gesetze wurden dann nach einem Kommissionsvorsitzenden benannt und von allen damals im Bundestag vertretenen Parteien verabschiedet. Hier die Zitate der Parteivertreter nach der entscheidenden Gesprächsrunde am 16. Dezember 2003: „Dies sind Ergebnisse, die sich sehen lassen können“ (Franz Müntefering); „Ich war nicht unbeteiligt“ (Angela Merkel); „Da ist viel blau-gelbe Tinte drin“ (Guido Westerwelle); „überwiegend positive Elemente“ (Reinhard Bütikofer). 2005 wurde dann auch formell eine große Koalition geschlossen, was sich 2013 und 2018 wiederholte. In diesem Jahr war dafür, sie wissen es, die FDP verantwortlich. Aber in den zuvor genannten Fällen wurde ganz bewusst die Entscheidung getroffen, mittels breiter Mehrheiten zu regieren. Österreich – ehemals das Land Großer Koalitionen – hätte Warnung sein können. Dort regiert heute ein Führungsdemokrat, der seine Partei entmachtet hat, zusammen mit Rechtspopulisten, die schon früh erstarkt waren. Trotzdem wurde auch in Deutschland lange die „Alternativlosigkeit“ gepredigt.

Nicht nur Angela Merkel tat dies. In dem bemerkenswerten Text „Lobbyisten in die Produktion“ aus dem Jahr 2006 schrieb Peer Steinbrück zur Großen Koalition: „Die gesamte Lobby, die versammelte Wissenschaft, alle Interessenvertretungen und Verbände können sich heute nicht mehr – wie sonst üblich – mit ihren Forderungen und Protesten hinter eine der beiden Volksparteien klemmen, um auf diesem Resonanzboden eine größere Lautstärke zu erzielen und sich mehr Gehör zu verschaffen.“ Steinbrück freute sich darüber, dass man endlich „parteipolitisches Pepita“ überwinde.

Gutes Regieren, das war die Idee. Den Preis für diese politische Desintegration aufgrund der Marginalisierung von Opposition zahlt man erst heute. In Europa sehen Bürgerinnen und Bürger keine Regierung, die sie abwählen könnten. In Deutschland war der Konsens in der Mitte lange Zeit so überbordend, dass der Regierung ebenfalls keine schlagkräftige Alternative gegenüberstand. Mit guter Kommunikation kann man das nicht wettmachen. Eher schon mit gutem Parlamentarismus. Aber die Eurorettungspolitik fand im Konsens statt und über die Flüchtlingspolitik wurde 2015 nicht im Deutschen Bundestag debattiert. Vielmehr erklärte sich Angela Merkel in Interviews mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Insofern kann festgehalten werden, dass natürlich viele Aspekte den Aufstieg des deutschen Rechtspopulismus begünstigt haben. Das Ganze konnte jedoch nur stattfinden unter den Bedingungen der politischen Desintegration durch fehlende Verantwortlichkeit, Entparlamentarisierung und intransparenten Konsens. Die betriebene Politik mag vernünftig sein, aber sie ohne direkte Auseinandersetzung mit echten Konkurrenten zu begründen missachtete Grunderfordernisse des politischen Prozesses. Der Konkurrent führt sich nunmehr vor allem als Feind auf. In dem bereits zitierten Text aus dem Jahr 2003 schreibt Ralf Dahrendorf: „Der Populismus ist … im Kern antiparlamentarisch … Der Erfolg populistischer Bewegungen ist daher immer auch ein Zeugnis für die Schwäche von Parlamenten.“

  1. Gegenstrategien

Abschließend zu den Gegenstrategien. Was tun gegen das sogenannte „Gespenst“ des Populismus, insbesondere des Rechtspopulismus. Welche Mittel stehen den Ghostbusters zur Verfügung?

Beliebt ist heute der Hinweis, dass Rechtspopulisten mit Fake News hantieren, die man offenlegen müsse. Bei Donald Trump ist das offensichtlich und auch hierzulande gibt es Beispiele, etwa jüngst die Rhetorik gegen den UN-Migrationspakt. In meiner Arbeit beschäftige ich mich u.a. mit spezifisch rechtspopulistischen Medien. Auch hier, in den verschwörungstheoretischen Kanälen des Internets, gibt es zahlreiche falsche Darstellungen. Sich als Politik primär darauf zu konzentrieren, Rechtspopulisten als Fake-News-Trolle zu entlarven, birgt jedoch zwei Risiken: Erstens gibt es Niveauunterschiede bei den einzelnen Kanälen. Eva Herman markiert in etwa den durchgeknallten Bodensatz. Wer aber dann auf Stars der Szene trifft, etwa den fast schon guruhaft verehrten Historiker Daniele Ganser, dem wird es schwerfallen, direkte Lügen nachzuweisen. Es werden ja nur offene Fragen gestellt. Dann, das ist das zweite Risiko, schlagen die sogenannten Alternativmedien zurück. Jede irrtümlich vorgebrachte Falschmeldung und jede Einseitigkeit der Darstellung wird dann von Rechtspopulisten verwertet werden, um die vermeintliche Manipulation durch die politisch-mediale Klasse zu brandmarken. Eine solche Selbstviktimisierung beherrscht nicht nur Hans-Georg Maaßen.

Für einen falschen Weg halte ich es auch, sich von den neuen Minderheitengruppen abzuwenden, also etwa nationale Wohlfahrtspolitik zu betreiben und Flüchtlinge oder andere mehr oder weniger sich selbst zu überlassen. Gerade für linke Parteien wäre es m.E. fatal, die einen Schwachen gegen die anderen Schwachen auszuspielen. Ebenso falsch ist es aber, zu früh zu moralisieren. Kritik zu schnell aus dem Bereich des demokratisch Diskutierbaren auszugrenzen. Diese Gefahr besteht aber, wenn man zu schnell auf den Abgrenzungsbegriff „Populismus“ verwaist, anstatt inhaltlich zu kontern.

Deshalb, das ist mein erster Vorschlag, plädiere ich zunächst für eine klare Benennung dessen, womit man es zu tun hat. Die AfD ist mittlerweile primär eine rechtsradikale Partei. Das heißt, dass sie sich an und auf der Grenze der Verfassung bewegt. Nur diese Grenze markiert einen objekti-vierbaren Gradmesser, der tendenziell überschritten wird, wenn man sich, wie wichtige Teile der AfD, auf das Widerstandsrecht des Grundgesetzes beruft, um gegen demokratisch gewählte Eliten und ihre demokratisch getroffenen Entscheidungen vorzugehen. Das machen aber nicht nur die extremistischen Vorfeldorganisationen der Partei, sondern auch Führungskader. Die regelmäßige Ansprache dieser objektivierbar antidemokratischen Haltungen ist die Voraussetzung für eine Spaltung der AfD.

Mein zweiter und letzter Punkt erwächst aus der oben skizzierten Krisendiagnose. Der Kampf gegen den Rechtspopulismus wird am ehesten dann gewonnen, wenn die politische Alternativensetzung im Zentrum des Parteiensystems wiederbelebt wird. Dazu gibt es mehrere Wege. Die von vielen präferierte Überwindung des Parlamentarismus ist keiner davon. Das macht die Fünf Sterne Bewegung mit ihrer Computersoftware, das machen führungsdemokratisch organisierte Parteien, aber es untergräbt die vermittelnden Institutionen in der Demokratie. Nadia Urbinati spricht von einer „revolt against intermediary bodies“. Sie meint nicht nur den Populismus, sie meint damit auch den Ruf nach direkter Demokratie als Ersatz für das repräsentative System.

Demgegenüber plädiere ich für eine Stärkung des Parlamentarismus und auch der innerparteilichen Demokratie. Es geht dabei nicht darum, vorfindbare Einstellungen lediglich abzubilden, sondern auch um die demokratische Konfiguration von Gruppen. So können innerparteiliche Abstim-mungen, wie Sie sie jetzt bei der deutschen Konkurrenz erleben, zeigen, wie weit es her ist mit der Rhetorik von der Anti-Merkel-Partei CDU. Es muss dabei aber etwas zu entscheiden geben und die Vorstrukturierungsmöglichkeiten der Führung sollten sich in Grenzen halten – im Gegensatz zu den SPD-Debattencamps. Gerade Große Koalitionen verlangen ein selbstbewusstes Parlament, mit mehr öffentlichen Ausschusssitzungen und mit mehr offenen innerfraktionellen Debatten. Auch sollten direktdemokratische Einflussmöglichkeiten stärker an den Parlamentarismus angekoppelt werden. Man könnte etwa daran denken, aufschiebende Vetoinitiativen gegen Gesetze zuzulassen und öffentliche Petitionen ab 100.000 Zeichnern im Plenum verhandeln zu lassen.

Eigentlich ist das alles ein Vorschlag: Man sollte die Verfahrensebene von Demokratie so stärken, dass die vermittelnden Institutionen – also Parteien und Parlamente – einen gleichzeitig alternativensetzenden und mässigenden Effekt entfalten können. Die Überwindung dieser intermediären Ebene ist das Programm des Populismus. Dem sollte man nicht auf den Leim gehen, sondern anstreben, dass es auch im Europaparlament zu öffentlich wahrgenommenen Auseinandersetzungen zwischen den demokratischen Parteifamilien kommt. Einen großen Wurf, eine Zauberformel für die politische Integration gibt es nicht. Es sind kleine institutionelle Stellschrauben, an denen zu drehen ist. Mehr politische Öffentlichkeit kann zeigen, dass die politische Klasse keine geschlossene ist und Volksparteien einen Unterschied machen. Lediglich bessere Kommunikation hilft da nicht.

Zitate entstammen der folgenden Literatur

Dahrendorf, Ralf (2003): Acht Anmerkungen zum Populismus, in: Transit – Europäische Revue, Heft 25, abrufbar unter https://www.eurozine. com/acht-anmerkungen-zum-populismus/?pdf [zuletzt abgerufen am 14.11.2018].

Feldenkirchen, Markus (2003): Eine eigenwillige Mehrheit, in: Der Tages-spiegel v. 20.12.2003.

Klaus, Vaclav (2018): Rede auf der AfD-Veranstaltung „Marx vom Sockel holen“, Trier, 04. Mai 2018, abrufbar unter: https://www.youtube. com/watch?v=apQDa4oEtyc [zuletzt abgerufen am 14.11.2018].

Klaus, Vaclav (2016): Interview mit dem Portal „Wissensmanufaktur“, ab-rufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=0lnRkd3eOB4 [zu-letzt abgerufen am 14.11.2018].

Klaus, Vaclav/Weigl, Jiri (2016): Völkerwanderung. Kurze Erläuterung der aktuellen Migrationskrise, Berlin.

Manow, Philip (2018): „Dann wählen wir uns ein anderes Volk …“ – Po-pulisten vs. Elite, Elite vs. Populisten, in: Merkur, 72. Jg., Heft 4, S. 5-14.

Mosca, Gaetano (1950): Die herrschende Klasse. Grundlagen der politi-schen Wissenschaft, Bern.

Mudde, Cas (2004): The Populist Zeitgeist, in: Government and Opposi-tion, 39. Jg., Heft 4, S. 541-563.

Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin.

Steinbrück, Peer (2006): Lobbyisten in die Produktion, in: Frankfurter All-gemeine Zeitung v. 12.01.2006, S. 6.

Urbinati, Nadia (2015): A Revolt against Intermediary Bodies, in: Constel-lations, 22. Jg., Heft 4, S. 477-486. 14

Zürn, Michael (2018): Autoritärer Populismus vs. Offene Gesellschaft – eine neue Konfliktlinie? Eine ökonomische, kulturelle und politische Analyse, böll.brief Demokratie & Gesellschaft #7, Berlin.

Kontakt: lindenm@uni-trier.de

 

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