„Vorschläge der AfD nur Angstmacherei“: Jean Asselborn im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND)

Jean Asselborn, Außenminister Luxemburgs, hält das AfD-Ergebnis wegen der deutschen Geschichte für gravierender als die Erfolge des Front National in Frankreich. Im Interview vom 2. Oktober 2017 mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) fordert er, mit Argumenten gegenzuhalten.

Jean Asselborn ist seit 2004 oberster Diplomat Luxemburgs. Der dienstälteste Außenminister der EU äußert sich im RND-Interview zu den Auswirkungen der Bundestagswahl auf Europa.

Herr Asselborn, mit der AfD ist erstmals seit Jahrzehnten eine in Teilen rechtsextreme Partei in den deutschen Bundestag eingezogen. Schmerzt Sie das als Europäer und Außenminister?

Ja. Es ist etwas völlig anderes als in anderen Ländern. Wenn ich wieder Sätze wie „Deutschland den Deutschen“ aus meinem Nachbarland höre, dann tut das weh. Mein Land, Luxemburg, wurde während des Dritten Reiches von den Deutschen überrannt und viele Tausend Menschen starben. Ich wurde nach dem Krieg geboren, aber viele unserer Väter wurden zwangsrekrutiert oder deportiert. Mein Schwiegervater hat es auch nach dem Krieg nie fertiggebracht, über die Grenze nach Trier zu fahren.

Das hat Sie geprägt?

Ich bin aufgewachsen im Glauben, dass man auf Deutschland aufpassen muss. Wenn der Spitzenkandidat der AfD jetzt sagt, dass die Wehrmachtssoldaten wieder geehrt werden sollen, dann ist das für mich Besorgnis erregend. Die­ 12 Prozent der AfD sind beklemmender als 30 Prozent der Stimmen für Marine Le Pen in Frankreich. Wir dürfen die Augen nicht verschließen.

Wird sich die AfD in Deutschland etablieren?

Der nächste Bundestag wird daran gemessen werden, wie er mit der AfD umgeht. Ich bin überzeugt, dass es der neuen Koalition und auch der demokratischen Opposition gelingen wird, die AfD wieder überflüssig zu machen. Die Vorschläge der AfD beruhen nur auf Angstmacherei. Und wenn ich noch einmal zurückkommen darf auf die Geschichte: Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es plötzlich ein ganz anderes Deutschland. Adenauer und die Westbindung, später Willy Brandt. Das hat mich beeindruckt. Deutschland hat vieles richtig gemacht in den letzten 70 Jahren, die Wiedervereinigung war der Höhepunkt. Ein Höhepunkt, der auch entscheidend der Europäischen Union zu verdanken ist.

Fürchten Sie, dass sich die Debatte in Deutschland aufheizen wird?

Wenn man der AfD auf den Leim geht, dann hat man schon verloren. Man muss den Menschen erklären, warum Europa gut ist und zu Recht besteht. Es bringt nichts, jetzt der AfD nach dem Mund zu reden. Die Demokraten müssen mit Argumenten gegenhalten.

Die CSU fordert eine Obergrenze für Flüchtlinge. Ein denkbarer Ansatz?

Die Debatte um eine Obergrenze für Flüchtlinge ist irreführend. Flüchtlinge sind Menschen, die vor Krieg und Tod weglaufen. Diese Menschen sind von der Genfer Konvention geschützt. Das ist Völkerrecht, darüber verhandeln wir nicht. Über Obergrenzen für Flüchtlinge zu reden führt ins Nichts. Ich hoffe, dass sich CDU und CSU in dieser Frage bald einigen. Anders ist es bei Migranten, die etwa aus afrikanischen Ländern kommen. Für diese Form der Migration brauchen wir Quoten.

Der französische Präsident Emmanuel Macron präsentiert sich als der neue intellektuelle Ideengeber Europas. War es das mit Angela Merkel als vermeintlicher Anführerin des Westens?

Die Kanzlerin hat einen anderen Stil als die meisten Franzosen. Der Franzose spricht gern mit Gesten, Merkel ist nordeuropäisch zurückhaltend. Mit Macron hat ein französischer Staatspräsident wieder ein klares Statement für Europa abgegeben. Das ist gut. Er nimmt eine Führungsrolle ein. Er ist ambitioniert.

Haben Europa unter Merkels faktischer Führung in den vergangenen Jahren die Ambitionen gefehlt?

Ambitionen für Europa sind sehr wichtig. Macron muss jetzt aber aufpassen, keine Versprechungen abzugeben, die er nicht halten kann. Aber viele Ideen seines Gesamtpaketes sind gut. Und die Lösung für Europa kann nur sein, dass die EU-Länder besser und mehr zusammenarbeiten.

Wird Deutschlands Haushalt bald von einem europäischen Finanzminister kontrolliert?

Einschnitte in die nationalen Budgets würden weder Frankreich noch Deutschland oder andere europäische Staaten akzeptieren. Ein europäischer Finanzminister ist eine gute Idee, sofern er eine koordinierende Rolle hat. Ein europäischer Finanzminister nach dem Vorbild der EU-Außenbeauftragten könnte uns sehr viel weiterbringen.

Wo erwarten Sie noch Bewegung?

Bei der Einlagensicherung für Sparguthaben sollte Deutschland vorangehen und die Blockadehaltung aufgeben. Dann werden andere folgen. Es geht hier nicht um das Interesse der Banken, sondern um das der Sparer. Wenn Deutschland es ernst meint mit einem Europa für die Bürger, dann sollte das Land hier einen Schritt nach vorn machen.

In Deutschland akzeptiert gerade die FDP nichts, das nach finanziellem Ausgleich in Europa aussieht. Wie kann Europa damit umgehen?

Die FDP wird zeigen, dass sie eine proeuropäische Partei ist. Beim Thema Europa machen viele in Deutschland den Fehler, vor allem die Schwierigkeiten zu sehen. Dazu neigt auch mancher Vertreter der möglicherweise bald regierenden Jamaika-Koalition. Ich rate dazu, eher die große Idee zu betrachten und sich nicht in Details zu verlieren.

Was fürchten Sie?

Andernfalls droht Deutschland in die Rolle des Blockierers in Europa zurückzufallen anstatt die treibende Kraft zu sein. Aber ich bin optimistisch. Deutschland war noch nie so europäisch, wie es heute ist. Das gibt mir Hoffnung.

Von Gordon Repinski/RND

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